Die Kinderdorfidee entwickelt sich gegen Ende des Zweiten Weltkrieges in der Schweiz, in Österreich und Deutschland. Tausende Kinder und Jugendliche hungern, sind verwaist oder wurden von ihren Familien getrennt. Sie brauchen dringend Hilfe und ein Zuhause, das ihnen Geborgenheit geben kann. Dieses Zuhause muss anders aussehen als ein anonymes Waisenhaus, betont der Schweizer Philosoph und Publizist Dr. Robert Corti. Er wirbt 1944 für ein "Dorf für leidende Kinder aus allen Nationen" des kriegszerstörten Europa. Die Zeit ist reif für die Kinderdorfidee.
Cortis Appell löst eine überwältigende Welle der Hilfsbereitschaft aus. Dies ermöglicht 1946 den Bau des Pestalozzi-Kinderdorfs Trogen bei St. Gallen in der Schweiz und im deutschen Wahlwies am Bodensee. Ebenfalls 1946 entstehen erste Kinderdörfer des deutschen Caritas-Verbandes, 1949 gründet Hermann Gmeiner den SOS-Kinderdorf-Verein im österreichischen Imst (Tirol). 1952 beginnen die Dominikanerinnen von Bethanien in Deutschland mit der Kinderdorfarbeit. 1957 gründet sich der erste Albert-Schweitzer-Kinderdorfverein in Waldenburg (Baden-Württemberg). Dr. Robert Corti steht ihm als Kuratoriumsmitglied zur Seite. Bis heute sind die Albert-Schweitzer-Kinderdörfer dem von Corti angeregten Elternprinzip einer Kinderdorffamilie mit "Mutter" und "Vater" treu geblieben.
Eine beherzte Frau verwirklicht ihre Vision
Initiiert wird die Gründung des ersten Albert-Schweitzer-Kinderdorfvereins von Margarete Gutöhrlein. Für sie soll das Kinderdorf "ein lebendiges Beispiel dafür sein, dass Menschen in Frieden miteinander leben können", unabhängig von der Herkunft ihrer Eltern oder ihrer Religionszugehörigkeit. Margarete Gutöhrlein, selbst bereits über 70, fragt im Oktober 1957 den hoch betagten Albert Schweitzer, ob er Namenspate des geplanten Kinderdorfes sein wolle. Schweitzer antwortet ohne Zögern: "Gerne tue ich dies. Kinderdörfer sind eine Notwendigkeit in unserer Zeit." Ende 1959 beginnt der Bau der ersten drei Häuser des Kinderdorfes in Waldenburg. 1960 ziehen die ersten Kinder ein. Bald folgen weitere Albert-Schweitzer-Kinderdörfer und Familienwerke in ganz Deutschland.